Lesenswertes von Christian Bieniek
 
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  Oswald, Karo und ich
Artikel von Christian Bieniek in: 1000 und 1 Buch   (2/04 - Wien)
 
 
 
Als Honoré de Balzac im Sterben lag, soll er gesagt haben: Nur Bianchon hätte mich retten können.

Horace Bianchon war der berühmteste Arzt seiner Zeit. Wer in Paris Rang und Namen hatte, ließ sich von ihm behandeln. Warum holte ihn Balzac nicht an sein Krankenlager? Ganz einfach: Weil dieser Arzt nur in Balzacs Phantasie existierte. Bianchon taucht in zig Bänden der „Menschlichen Komödie“ auf. Er hat Balzac durch sein halbes Leben begleitet. Hätte er sich auf seinem Totenbett an Bianchon erinnert, wenn diese Figur nur in einem einzigen seiner Bücher vorgekommen wäre? Wohl kaum.

Es ist keine Schande, Serien zu schreiben. Schon Homer war Serienautor. Die „Odyssee“ ist eine Fortsetzung der „Ilias“. Auch Goethe fand nichts dabei, einen zweiten „Faust“ zu schreiben und Wilhelm Meister nach den Lehrjahren auf die Wanderjahre zu schicken. Zu meinen Lieblingsserienautoren gehören Raymond Chandler, Georges Simenon und John Fante, der mehrere Bücher über sein Alter Ego Arturo Bandini geschrieben hat.

Einer der Autoren, die mich als Jungendlicher am meisten beeindruckt haben, war Beaumarchais. Fast alles, was ich über das Schreiben von Dialogen weiß, hat er mir beigebracht. (Den Rest habe ich von Goldoni und Molière gelernt.) Seine „Figaro“-Trilogie gehört auch heute noch zu den Werken, die ich mindestens einmal im Jahr genieße. Einen vierten Teil („Figaro lässt sich scheiden“) fügte niemand anders als Ödön von Horváth etwa 150 Jahre nach Beaumarchais’ Tod hinzu.

Dass ich Buchautor geworden bin, verdanke ich zwei Rundfunkserien, die ich zu Beginn der 90er Jahre für den WDR geschrieben habe. Beide Serien zusammen hatten über 130 Folgen. Die Hauptfiguren waren Jugendliche. Der Erfolg dieser Serien brachte mich auf die Idee, es mal mit einem Roman für junge Leser zu versuchen. Das Ergebnis hieß „Immer cool bleiben“. Danach folgte der Roman „Svenja hat’s erwischt“. Und nach Erscheinen dieses Buches ging es los mit den Forderungen nach Fortsetzungen. Die LeserInnen wollten unbedingt wissen, wie es mit Svenja weitergeht. Und der Verlag wollte natürlich wissen, ob sich noch mehr Geld mit Svenja verdienen ließe. Ich konnte mich dennoch nicht zu weiteren Bänden entschließen. Schließlich bin ich Schriftsteller und kein Textlieferant. Ich schreibe nur das, was ich gerne schreiben möchte, und von Svenja hatte ich mich mit dem letzten Punkt in diesem Roman für alle Zeiten verabschiedet.

Als dann „Harry Potter“ begann, das Szepter über den Geschmack der jungen LeserInnen zu schwingen, wurden die Forderungen nach weiteren Svenja-Bänden immer heftiger. Die Leserschaft konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass es Geschichten gab, die in einem einzigen Band erzählt wurden. In zig Lesungen musste ich zu diesem Thema Rede und Antwort stehen. Da die Leserinnen irrtümlich dachten, mir würde nichts mehr zu Svenja einfallen, wurde ich mit Briefen (und später mit Mails) überrollt, in denen mir neue Svenja-Stories angeboten wurden. Doch nichts konnte mich erweichen. Svenja für einen zweiten Band wieder zum Leben zu erwecken.

Serientitel sind durchaus nicht kommerziell erfolgreicher als Einzeltitel. Schon gar nicht im Ausland. Mittlerweile sind Bücher von mir in fünfzehn Sprachen übersetzt worden. Der Anteil der Serientitel daran ist kaum der Rede wert. In Italien zum Beispiel erscheinen meine Bücher derzeit bei drei Verlagen. Kein einziger davon hat je einen Serientitel von mir übersetzt. (Ein vierter Verlag, Feltrinelli in Mailand, hat allerdings soeben die italienischen Rechte an dem ersten Band von „Der MädchenHasserClub“ erworben.)

Der deutsche Verlag, der in der Vergangenheit am stärksten auf Serien und Reihen gesetzt hatte, musste im letzten Jahr 54 von 60 Angestellten entlassen. Deutlicher kann nicht veranschaulicht werden, dass Serien eben nicht das ganz große Geschäft sind. Es ist also völliger Unsinn, Autoren vorzuwerfen, sie würden aus kommerziellen Gründen Serien schreiben.

Warum ich Serien schreibe? Zufall!

Im Herbst 1997 erschien „Oberschnüffler Oswald“. Das Schreiben dieses Textes bereitete mir ein außerordentliches Vergnügen. Bereits eine Woche nach Beendigung des Romans begann ich den kleinen Hund zu vermissen und dachte mir einen zweiten Band aus, obwohl der erste noch gar nicht erschienen war und ich keine Ahnung hatte, ob er überhaupt Anklang finden würde.

Als das Buch dann auf den Markt kam, stellte sich heraus, dass die LeserInnen begeistert waren. Doch schon nach dem zweiten Band begann ich die Gefahr zu spüren, dass eine Serienfigur erfolgreicher werden kann als der Autor. Um dem entgegenzusteuern, ließ ich mich nicht dazu hinreißen, einen Band nach dem andern zu produzieren. Seit 1997 sind ganze fünf Oswald-Bände erschienen, was aus Marketing-Sicht bestimmt bedauerlich ist. Der Markt hätte dankbar noch weitere Bände aufgenommen. Aber: Ich bin kein Textlieferant. Sonst würde ich bei einer Werbeagentur arbeiten und mir Sprüche für Tampons ausdenken.

Oswald hat es inzwischen auch außerhalb Deutschlands zu einiger Berühmtheit gebracht. Ein bekannter Schweizer Komiker hat ihn auf Schwyzerdütsch auf CD gebannt. Und im Sommer erscheint er in Russland.

„Oberschnüffler Oswald“ war also zunächst überhaupt nicht als Serie geplant. Ähnlich verhielt es sich mit „Karo Karotte“. 1998 erschien der erste Band. Der Erfolg war so überwältigend, dass ich danach noch locker ein paar Dutzend Fortsetzungen hätte nachschieben können. Bis jetzt sind es aber nur sieben Bände geworden. Und in diesem Tempo soll es auch weitergehen. Karo ist mittlerweile nämlich noch bekannter als Oswald. Und ich hasse es, wenn am Ende einer Lesung jemand ruft: Das Buch, das Sie gerade vorgelesen haben, war ja sehr gut. Aber die Karo-Bücher find ich viel besser.
Wenn ich dann darauf hinweise, dass diese Bücher auch von mir sind, glaubt mir das erst mal niemand. Das ist das Fatale an Serienfiguren: Wenn Sie richtig bekannt sind, wird völlig zur Nebensache, wer sie sich ausgedacht hat.

Gegen Ende der 90er Jahre wurde ich von den Verlagen mit Bitten um Serien bombardiert. Da ich weder Lust noch Zeit hatte, machte ich den Vorschlag, mir die Arbeit mit ein paar befreundeten Autorinnen teilen zu dürfen. (Allerdings bestand ich darauf, dass ihre Namen auf den Umschlag gedruckt werden. Das klingt selbstverständlich, ist es aber in der Buchbranche nicht, wie jeder weiß, der sich in der Szene ein wenig auskennt.) So kam es zur Zusammenarbeit mit Marlene Jablonski und Vanessa Walder. Wir dachten uns die Serien gemeinsam aus, und dann schrieb jeder von uns ein paar Bände. Das Vergnügen bei dieser Arbeit bestand darin, dass ich nicht einsam und allein an meinen Texten herumwerkelte, sondern zwei Kolleginnen hatte. Dabei entstanden ein paar sehr erfolgreiche Serien, die auch in Zukunft fortgesetzt werden. Allerdings merkte ich im Lauf der Jahre, dass ich doch eher Solist bin, daher wird es kaum neue Projekte dieser Art geben.

Wenn ich jetzt neue Serien starte, sind sie nicht mehr als solche zu erkennen. Als das Buch „Der MädchenHasserClub“ erschien, wusste niemand, dass es eine Fortsetzung geben würde. Die heißt „Der MädchenHasserClub schlägt zurück“ und ist genau ein Jahr nach dem ersten Band veröffentlicht worden. Mal sehen, ob ich mich zu einem weiteren Band hinreißen lassen werde.

Auch meine Lieblingsserie ist nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Es sind drei Romane um ein Mädchen namens Rebekka: „Knutschen erlaubt“, „Ciao, Amore“ und „…und tschüss!“. Sie erscheinen ab Juni als Taschenbuch bei Fischer Schatzinsel - ohne einen Serientitel. Nur durch die einheitlichen Cover (gestaltet von der hervorragenden Illustratorin Eva Schöffmann-Davidov) wird deutlich werden, dass es sich um eine Serie handelt.

Das Schreiben von Einzeltiteln ist erheblich einfacher als das von Serien - wenn man nicht unbedingt massenkompatiblen Schrott abliefern will. Schon jetzt läuft es mir eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke, dass ich im Mai einen neuen „Karo Karotte“-Band schreiben werde. Das Buch muss mindestens so gut werden wie seine Vorgänger. In der Geschichte sollen alle vertrauten Elemente und Figuren aus den sieben alten Bänden auftauchen, aber dennoch darf ich mich nicht wiederholen. Herausforderungen dieser Art führen dazu, dass ich mich beim Schreiben eines neuen Serientitels automatisch erheblich mehr anstrenge als bei der Arbeit an einem Einzeltitel. Die große Gefahr ist nämlich, dass man einfach auf Nummer sicher geht und die Story lieblos auf ausgetretenen Pfaden abrollen lässt. Das überlasse ich jenen Autoren (und ihren namenlosen Zulieferern), die ihre Serien jedes Jahr mit einem Dutzend neuer Bände bestücken müssen, um sie am Laufen zu halten.

Vor zwei Jahren habe ich mir einen Hund zugelegt. Einen völlig durchgeknallten Jack-Russell-Terrier. Wie ich ihn genannt habe? Raten Sie mal. Nein, nicht Karo.