Lesenswertes... Interviews mit Christian Bieniek | |||||||||||||||||||||||||
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Es gibt keine Entschuldigung für Literatur, die nicht unterhält | ||||||||||||||||||||||||
Auszüge aus dem letzten Interview mit Christian Bieniek | |||||||||||||||||||||||||
Ausgestrahlt im Deutschlandfunk in der Sendung "Büchermarkt" am 08.01.2005.
Das Gespräch führte Ute Wegmann. |
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Wegmann: Ich freue mich, einen der meistgelesenen Kinder- und Jugendbuchautoren im Studio begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Christian Bieniek! Bieniek: Hallo! Wegmann: (...) Sie haben eine Vielzahl an Romanen und Buchreihen geschaffen - insgesamt an die hundert Titel. Ihre Bücher erscheinen in acht verschiedenen deutschen Verlagen und sind in bisher achtzehn Sprachen übersetzt worden. Das alles wollte ich vorab mal erzählen, weil wir die Titel ja gar nicht alle nennen können. (...) Wie muss ich mir den Alltag von Christian Bieniek vorstellen? Wie bewältigen Sie dieses Schreibpensum? Bieniek: Das ist gar nicht so viel. Wenn man es umrechnet aufs ganze Jahr, bin ich eigentlich richtig faul - eigentlich könnt ich noch mehr schreiben, wenn ich mich richtig anstrengen würde. Was soll ich denn sonst den ganzen Tag machen, das ist doch mein Beruf. Ich geh ja nicht noch acht Stunden arbeiten und muss mich abends hinsetzen, um mühevoll eine Seite zu schreiben. Ich hab den ganzen Tag Zeit, zu schreiben, hab keinen anderen Beruf nebenbei und das Pensum entspricht dem, was ich so leisten kann, ohne mich besonders anzustrengen. Wegmann: Wie viel schreiben Sie so am Tag? Acht Stunden? Bieniek: Das kann man so nicht sagen. Nein, um Gottes willen! Manchmal drei, manchmal gar nicht, manchmal fünf, aber acht Stunden habe ich noch nie geschrieben. Und ich schreibe auch nie abends, immer nur am Vormittag. Wegmann: Ihre Bücher für die jüngeren Leser sind überwiegend Detektivgeschichten. Ansonsten ist vorherrschendes Thema Ihrer Geschichten die Attraktion zwischen Jungen und Mädchen und die damit verbundenen Komplikationen. Ein unerschöpflicher Pool, muss man fast sagen. Möchten Sie mit Ihren Büchern über das andere Geschlecht aufklären? Bieniek: Nö, eigentlich nicht. Dies ist eher das Thema, das mich selbst am allermeisten interessiert hat als Kind und als Jugendlicher sowieso. Da war ich nicht interessiert an Atomphysik oder an was weiß ich, was, sondern: Was ist mit dem Mädchen dahinten, warum schaut sie mich nicht an? Wäre das eine Freundin für mich? Oder wieso geht sie lieber mit dem anderen? Ich glaube, das sind doch Sachen, die jeden interessieren. Wegmann: Sind denn Ihre Bücher in erster Linie Mädchenbücher? Bieniek: Nö, das kann man nicht sagen. Wegmann: Es ist aber so, dass Sie interessanterweise meistens aus der Sicht der Mädchen schreiben. Und zwar oftmals sogar als Ich-Erzählung. Wie kommt es dazu? Fällt Ihnen das leicht, sich in pubertierende Mädchen hineinzuversetzen? Bieniek: Das fällt mir genauso leicht oder schwer wie mich in einen Hund hineinzuversetzen. Ich hab ja auch Bücher, in denen ein Hund der Ich-Erzähler ist. Und wenn ich ein Buch über einen Mörder schreiben würde, wäre es auch nicht nötig, erst mal einen umzubringen. Wir Autoren sind dazu da, uns heute in den, morgen in jenen hineinzuversetzen. Auf jeden Fall finde ich es immer viel spannender, sich in eine andere Figur hineinzudenken als über sich selbst zu erzählen oder über sich selbst zu schreiben. Das würde ich niemals tun. Darum konnte ich auch so viel schreiben. Wenn man jedoch immer über sich selbst berichtet, dann wird einem irgendwann nichts mehr einfallen. Wegmann: Aber es ist ja schon interessant, dass Ihre meisten Bücher wirklich aus der Perspektive der Mädchen erzählt werden. Was reizt Sie denn so konkret daran? Bieniek: Na ja, auch die Tatsache, das gebe ich ehrlich zu, dass mehr Mädchen Bücher lesen. Ich bin ja viel unterwegs auf Lesereise und es ist eher selten, dass einmal ein Junge zu mir kommt und sagt: Boah, haben Sie geile Bücher geschrieben! Während ich von Mädchen überhäuft werde mit E-Mails und Post usw. Jungs melden sich eher mal, wenn sie in der Schule das Buch durchnehmen und dann ganz konkrete Fragen haben. Lesen ist nun mal hauptsächlich Angelegenheit von Mädchen. (...) Wegmann: In Ihrem neuen Buch "Switch!" setzt sich die Hauptfigur Marvin, 16 Jahre alt, mit Tod, mit Zeit auseinander. Das ist ja relativ ernst. Das ist aber gar nicht die sonst übliche Haltung in Ihren Geschichten. Ihre Geschichten sind ja sehr geprägt von spritzigen, witzigen, frechen Dialogen. Wie wichtig ist für Sie Humor? Bieniek: Da ist ein ganz großer Unterschied zwischen der erwachsenen Betrachtungsweise von Büchern und der von Jugendlichen oder Kindern. Alle meine Bücher haben einen ernsten Hintergrund, auch beispielsweise die Karo-Karotte-Bücher. Erwachsene sehen hauptsächlich das Witzige, während für Jugendliche das Witzige so sehr zu dem ganzen Ambiente dazugehört, dass die viel eher Augen haben für die ernsten Sachen. Weil alles, was Jugendliche heute entertaint, irgendwie witzig ist. Das nehmen die hin als das Übliche - das ist gegeben. Ob in der Werbung oder in den Kinofilmen, die sie mögen, oder in den Videos. Es ist immer etwas Witziges dabei. Aber dahinter steckt oft eine ernste Geschichte und die wird von Jugendlichen sehr viel eher wahrgenommen als von Erwachsenen, die immer nur das Witzige in meinen Büchern sehen wollen. Natürlich sind die Geschichten auch witzig. Ich will niemand langweilen. Aber es ist überall ein ernstes Problem dahinter, sonst würden die Geschichten schließlich nicht in den Schulen gelesen werden. Ich würde nicht jedes Jahr hunderte von Einladungen zu Lesungen in Schulen bekommen und es würde niemand über meine Geschichten reden, wenn es eine Ansammlung von mehr oder weniger gelungenen Witzen wäre. Wegmann: Aber Humor ist schon wichtig für Sie? Sie etablieren ein Problem in Ihren Geschichten, aber Sie finden dann einen Weg, dieses Problem mit einer Leichtigkeit zu präsentieren. Das ist auf keinen Fall negativ gemeint. Bieniek: Ich möchte es mal mit den Worten von Isaak B. Singer sagen: Es gibt keine Entschuldigung für Literatur, die nicht unterhält. Sogar die ernstesten Bücher der Weltliteratur sind immer, wenn Sie mal ganz genau hingucken, ungeheuer witzig. Ob Marcel Proust oder Flaubert. Und ich mach mir ehrlich überhaupt keine Gedanken darüber - der Witz gehört halt zu mir. Wenn ich zu erzählen, zu schreiben anfange, nehme ich mir auf keinen Fall vor, ungeheuer witzig zu sein, damit ich überhaupt gelesen werde. Sondern das Witzige entspringt meinem Naturell, das kann ich nicht hervorzaubern oder an den Haaren herbeiziehen. Die Leser würden es auch sofort merken, wenn ich ein paar Witze einbauen würde, nur damit der Leser ein bisschen Spaß hat. Für mich ist immer meine Hauptfigur wichtig. Aus ihr heraus entwickelt sich die ganze Geschichte. Ich habe oft Ich-Erzähler, und wenn ich die zum Leben erwecken kann, dann brauche ich denen nur noch zu folgen. Und dass die immer witzig sind, hängt damit zusammen, dass ich halt nicht tun kann, als wäre ich nicht witzig. Und dieses neue Buch "Switch!" ist auch sehr witzig, hat aber gleichzeitig einen ernsten Hintergrund. Hier wird das Ernste etwas stärker bemerkt, weil es ein Junge ist, der die Hauptrolle spielt. Auf die Jungsbücher wird immer gleich anders geguckt. Wenn auf dem Cover ein paar Mädchen wären und es einen typischen Mädchen-Titel hätte, wäre diese Ernsthaftigkeit den Erwachsenen gar nicht weiter aufgefallen. (...) Wegmann: Noch mal zu dem Erfolg Ihrer Bücher. Sie sind ja sehr nah an Ihrer Zielgruppe, an den Vierzehn- bis Fünfzehnjährigen. Sie kennen offensichtlich Mangas, Sie kennen die Musik, die Jugendliche hören. Lesen Sie die Zeitschriften, die auch die Jugendlichen lesen, oder wo informieren Sie sich? Bieniek: Eigentlich interessiert mich das überhaupt nicht (lacht). Ich kenne Mangas, weil ich eine vierzehnjährige Tochter hab, die völlig verrückt danach ist. Ich hab noch nie "hinterherrecherchiert", was Jugendliche hören. Ich höre die Musik, die heute gehört wird, weil ich mich seit 1966 für Popmusik, für Soul und R&B interessiere. Ich höre Hiphop, seit der erste Rapper auf dem Markt ist. Aber ich höre das nicht, weil die Jugendlichen das heute eben hören. Ich weiß alles das rein zufällig, weil ich mich immer dafür interessiert habe. Andererseits weiß ich überhaupt nichts über die Play-Station, die X-Box. Ich hab noch nie an so einem Ding gesessen. Sie werden auch nie ein Buch von mir finden, in das ich irgendwelche Namen von Bands eingebaut habe oder irgendeine Art von Namedroping mache, um womöglich den Lesern das Gefühl zu geben: Hey, der kennt sich aus mit uns! Das würde ich niemals machen. Womit ich die Jugendlichen merkwürdigerweise erreiche - etwas, das von Erwachsenen sehr selten erkannt wird -, ist das hohe Tempo. Das sind die Jugendlichen aus ihrem Entertainment gewöhnt. Das ist der größte Unterschied zu der Zeit, als ich ein Kind war. Wir haben, wenn's draußen geregnet hat, Monopoly gespielt, ein Buch genommen oder eines der drei Fernsehprogramme angeschaut. Und wir wären nie auf die Idee gekommen, umzuschalten, denn da hätte man ja aufstehen und hingehen und den Knopf drücken müssen. Heute ist das gesamte Entertainment der Kids rasend schnell. Das ist im Internet so, das ist im Fernsehen so und bei der DVD wird weitergeklickt zur nächsten Szene, wenn die eine nicht passt. Sobald die Jugendlichen irgendetwas stört, irgendetwas langweilig ist, wird weitergeklickt. Und so geht's leider auch mit Büchern. Wenn wir die Jugendlichen auf den ersten drei Seiten nicht überzeugen, wird das Buch in die Ecke geschmissen. Weil die Jugendlichen es gewohnt sind, auf eine bestimmte Art und Weise entertaint zu werden. Ich bin nie aktuell, das vermeide ich immer. Auch mit der Sprache. Wegmann: Ist es denn richtig, dass Sie eigentlich gar keinen pädagogischen Anspruch haben? Wollen Sie gar keine Botschaft vermitteln? Bieniek: Wenn ich jetzt sage, Nein, dann bin ich gleich in der verantwortungslosen Ecke. Als Botschaft würde ich es nicht formulieren. Aber was mich am Lesen interessiert - und was hoffentlich meine Leser an meinen Büchern interessiert -, ist: Wie ticken andere Menschen? Dieses Interesse ist auch der Grund dafür, dass ich keine historischen Romane schreibe oder auch keine Fantasy. Niemals würde der beste Freund einem so die Seele öffnen, wie dieser Marvin in "Switch!" es dem Leser gegenüber tut. Und daher hoffe ich, dass ein Leser, der erfährt, dass eine Romanfigur ganz anders ist als gedacht - dass diese Figur zum Beispiel ein ganz anderes Innenleben hat, als er vermutet - dass der Leser diese Erkenntnis in sein Alltagsleben mitnimmt. Wenn ich eine Botschaft habe, dann diese. Ich weiß, dass ich noch viel erfolgreicher wäre, wenn ich ein Problemthema nach dem anderen abarbeiten würde, wie das viele Autoren machen. Heute "Aids" und morgen "Gewalt in der Schule", übermorgen dies und das... So etwas interessiert mich überhaupt nicht. Dafür sind andere Bücher da. Und abgesehen davon, könnte ich da auch nicht meinen typischen Humor spielen lassen. Das würde völlig falsch verstanden werden. (...) Was mich außerdem bei Problembüchern auch nicht interessiert, ist, wenn Gut und Böse so eindeutig sind. Wenn Sie ein Buch schreiben über Gewalt in der Schule ist natürlich der, der zuschlägt, der Böse. Das ist mir alles viel zu simpel. Ich habe lieber Helden, bei denen der Leser sich selbst ein Bild machen muss. Das geht sogar in Büchern für die ganz Kleinen. Auch die Karo Karotte ist manchmal unausstehlich, ein Ekel, wie es im Buche steht. Ich will mich nicht anbiedern bei den Lesern. Ich möchte das Gute und auch das weniger Gute im Menschen zeigen. Wegmann: Das war ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch, Christian Bieniek. |
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