Lesenswertes über Christian Bieniek
 
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  Egal. Nicht egal.
Außer sich sein, zu sich kommen: "Switch!" von Christian Bieniek
 
Artikel-Auszug von Monika Osberghaus  10.2004  -  FAZ
 
 
Es gibt Romanfiguren, die gehen einem von der ersten Seite an auf die Nerven.
Marvin ist so eine Figur: einer dieser arroganten Jugendlichen, denen man anmerkt, dass sie zwar eine Menge Gedanken im Kopf haben, aber jeden anderen für zu doof halten, um sie ihm mitzuteilen. Marvin interessiert sich nur für sich, die Sterne im Himmel und die Toten unten in ihren Särgen. Nur wenn seine Klassenkameradin Vivien vorbeigeht und sich mit dem kleinen Finger eine Haarsträhne hinters Ohr streicht, wechselt er von seinem Standardspruch "Egal." zu "Nicht egal.".

Es gibt Romane, die legt man zur Seite, wenn einem die Hauptperson auf die Nerven geht.
"Switch!" ist aus zwei guten Gründen kein solcher Roman. Zweitens schiebt sich der Held schon rasch selbst beiseite: Gerade als ihn sein Faible für die Nichtigkeit allen Seins, mit dem er sich gerne auch vor lästigen Pflichten drückt ("Für meine letzten Worte brauche ich garantiert keine englischen Vokabeln") selbst schon anödet, wechselt Marvin in einen anderen Körper. Ohne es zu wollen.
Im Verlauf der Geschichte wird er eine kleine Runde drehen und sich unter anderem in seinem Geschichtslehrer und seinem Schwarm Vivien wiederfinden.
Wie nervtötend seine Schweigsamkeit und sein Friedhofstick sind, das wird Marvin jetzt klar, als er sich selbst von außen sieht.

Und erstens? Der Autor von "Switch!" heißt Christian Bieniek. Den meisten Feuilletonlesern ist dieser Name kein Begriff. Den Kindern und Jugendlichen dafür um so mehr.
Christian Bieniek ist achtundvierzig Jahre alt, wohnt in Düsseldorf, wo auch die meisten seiner Geschichten angesiedelt sind, und schreibt seit rund zehn Jahren einen Bestseller nach dem anderen.
Wenn es einen Jugendbuchautor gibt, auf den die Bezeichnung "cool" zutrifft, dann ist er es: Bei seinen Lesungen quietschen die Girlies vor Lachen, und auch die lesemuffeligeren Jungen greifen nach seinen Büchern. Warum? Weil sie in einem witzigen Gegenwartsdeutsch verfasst sind, nach dem sich andere Autoren vergeblich recken und dabei nur peinlich aussehen.
Bieniek ist ein Kommunikator; er spricht mit seinen Lesern, fragt sie aus und macht sich über sie lustig, hört ihre Musik, kennt ihre Lieblingscomputerspiele und -sendungen - nicht in einer Eigenschaft als Berufsjugendlicher, sondern aus persönlichem Interesse.
Dies alles fließt mühelos in seine Geschichten ein, die von den Sorgen und Freuden der heutigen Jugend erzählen, schwungvoll und mit unauffällig blitzender Intelligenz. Dazu kommt sein saftiger, eingängiger, respektloser Stil - Christian Bienieks Romane sind die smarteste Lektüre für alle, die das Lesen sonst anstrengend und uncool finden.

Auch Marvin, der Held von "Switch!", ist ein smarter Typ. Besser gesagt, er wird es erst allmählich, während er sich damit abstrampelt, seinen eigenen Reisen durch fremde Körperwelten wenigstens im Kopf hinterherzukommen. Das erfordert Einfühlung in die Lebensumstände seiner kurzfristigen Gastgeber, bislang nicht gerade seine Stärke.
Aber plötzlich erwacht sein Interesse: Wie schafft es sein Geschichtslehrer Herr Weber, drei Freundinnen gleichzeitig zu haben? Warum ritzt sich Melissa in die Arme? Und Vivien, von der er glaubte, er sei in sie verliebt: Diese Vivien, in deren Körper er sich nun bewegt, kannte er gar nicht.
Die unnachahmlich lakonische, halb spöttische, halb ängstlich-erregte Art, in der er sich nun mit ihren Körpersensationen beschäftigt, wird viele Jungen faszinieren und erst recht die Leserinnen immer wieder laut zum Lachen bringen.
Es ist angenehm, etwas so Unverklemmtes in einem deutschen Jugendbuch zu lesen.

So lässig kommt diese Umwandlung daher, die ja vor allem eine Sinnesumwandlung ist, und so sympathisch wird der gebeutelte Marvin, dass die jungen Leser die geballte Pädagogik, die in seiner Geschichte steckt, kaum bemerken werden.
Eine der beliebtesten Phrasen der Jugendliteraturkritik betrifft den "pädagogischen Zeigefinger", dessen Abwesenheit reflexartig lobend erwähnt wird, sobald ein Buch einmal einfach nur Spaß macht. Nun, hier wackelt er ganz heftig - und das Buch macht trotzdem einen Riesenspaß.
Wie scharf geschossene Papierkügelchen aus dem Blasrohr sausen die Einsichten auf Marvin und den Leser zu, und vor lauter Lachen kann sich keiner ducken. Das soll er auch nicht, denn die ganze Geschichte ist ein einziges großes Lob des Draufgängertums. Mach den Mund auf, dann passiert was, das ist die Devise.
Es muss ja nicht jeder gleich außer sich geraten wie Marvin, um zu sich zu kommen.