Lesenswertes über Christian Bieniek | |||||||||||||||||||||||||
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Die lebende Assoziationskette… | ||||||||||||||||||||||||
… oder: Pass auf, was du sagst! - Christian Bieniek | |||||||||||||||||||||||||
Adrienne Hinze in: Bulletin Jugend & Literatur, September 2003 | |||||||||||||||||||||||||
„Christian Bieniek schreibt für Kinder und Erwachsene und lebt in Düsseldorf.“ - Dieser an Aussagenfreiheit kaum zu überbietende Satz steht in mittlerweile fünf Metern Buch (einschließlich Übersetzungen) von Christian Bieniek. Schon stellt sich bei der eifrigen Bieniek-Leserin - es sind vornehmlich Mädchen - Neugierde ein: Wer ist dieser Kerl, der keine ordentliche Vita auf seine Bücher drucken lässt? Was zum Teufel macht er in Düsseldorf? Die Hartgesottenen versuchen telefonisch, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Das bringt nichts, weil Christian Bieniek sowieso immer auf Lesereise ist und seine Tochter hart, aber bestimmt jegliche Anfragen im Keim erstickt: „Mmhm. - Nö! - Tschüss!“ Haben wir es bei diesem äußerst produktiven und erfolgreichen Schriftsteller mit einem stillen Gesellen zu tun, der sich die Worte für seine Bücher aufhebt? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: „Neinneinnein!“ Christian Bieniek ist das, was man als lebende sprachliche Assoziationskette bezeichnen könnte. Eine Naturgewalt, die über einem zusammenbricht, während man Tränen lachend versucht, den inhaltlichen Anschluss nicht zu verpassen. Permanenter Output macht diesen Schriftsteller aus - und ist das Geheimnis seiner Bücher. Nicht mühevolle Recherche, monatelange Planung und das Kämpfen um jeden Buchstaben sprechen aus seiner Literatur, sondern eine fließende Handlung und das richtige Gespür für pointenreiche Gags. Lesen und trinken Christian Bieniek liest etwa 250-mal im Jahr öffentlich, was ihn u.a. zum stolzen Besitzer einer Bahn-Comfort-Karte macht („Endlich darf ich in den DB-Lounges umsonst trinken!“) - und zum ewig Reisenden. Schreiben nicht im stillen Kämmerlein bei einem Glas Wein, sondern im Zug zwischen Bad Krotzingen und Dingenskirch. Dem Wein (gern Barolo) ist er trotzdem nicht abgeneigt, solange er (danach) keinen Kaffee trinken muss („Ich lebe gesund!“). Von allem abgeschirmt fremde Welten zu entwickeln, ist ohnehin nicht sein Ding. Der Mann, der „vor allem wegen der vielen deutschen Dialekte“ auf Lesereise geht, sammelt seine Ideen im richtigen Leben. „Gebrauchsliteratur“ nannte Erich Kästner das. Wo könnte man bessere Storys finden als in Orten, deren Namen man nie gehört hat - und die man auch sofort wieder vergisst? Beispielsweise in Wie-heißt-das-noch?, wo Bieniek eigentlich in der Villa des Veranstalters übernachten sollte. Zu dumm, dass den gerade die Ehefrau rausgeschmissen hatte. Statt Villa gab es deshalb eine klitzekleine Single-Wohnung mit verknitterter Gebrauchsanweisung auf der Waschmaschine. So sind auch seine Figuren und deren Nöte wie aus dem richtigen Leben, wie die ameisenkleine Svenja in Svenja hat’s erwischt, die von vergrößernden Skytoucherschuhen träumt. Oder die dicke Michelle in Michelle XXL, die es wegen ihrer Ausmaße bei Jungs nicht leicht hat. Alles o.k. Während Bienieks Mädchenfiguren taff durchs stinknormale Leben rasen und auch mal die Ellbogen einsetzen, sind seine Jungs meist schmalbrüstige Antihelden mit großem Sympathiefaktor, wie Nathan (Der MädchenHasserClub), der in Maria verliebt ist und es als Vorsitzender des MädchenHasserClubs nicht sein darf. Auch David (Hilfe, ich hab ein Pferd), der gleichzeitig zu Pferd und Freundin kommt, ist so ein Süßer, den man am liebsten ständig herzen möchte. Eltern sind in Bienieks Romanen meist nette Menschen, die ihre Kinder unterstützen, beschützen und ansonsten in Ruhe lassen. Das hat den Vorteil, dass der Fokus des Erzählers ganz auf den Kindern ruhen kann und sich die Geschichte nicht als verkapptes Erwachsenen-Problembuch entpuppt. Ein anderer Grund dafür mag sein, dass Bieniek eben auch ein paar Träume hat. Wie überall bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: In 15, Jungfrau, Schlampe entwirft Bieniek nicht nur eine für Tochter Chloe peinlich hippe Mutter; Mama kümmert sich dazu noch mehr um ihre Lover als um die Tochter. Da kann der Typ, den Chloe gerade anhimmelt, schon mal im mütterlichen Bett landen: Reality bites! Bei anderen könnte eine solche Konstellation ins aufgepumpt Dramatische rutschen; im Bieniek-Stil geschrieben liest man das mit einem gleichermaßen weinenden wie lachenden Auge: Kein Outing der Rabenmutter. Es ist wie es ist, und es gibt immer einen Weg. Auch in der unter dem Pseudonym C. B. Lessmann veröffentlichten Loewe-Reihe sisters, geschrieben von Vanessa Walder, ausgedacht von Marlene Jablonski und Bieniek, werden die Eltern nicht an den Pranger gestellt, obwohl sie im Leben von Jasmin, Magdalene und Laura praktisch keine Rolle spielen. Die drei wohnen in einer betreuten WG und sitzen trotzdem nicht ständig depressiv herum. Achtung, Sammler! In der Regel ist Bienieks Familienwelt in Ordnung, Probleme werden gelöst, Freunde gefunden. Dass sich das nie platt liest, liegt zum einen an den lebendigen Figuren, die nicht im bemühten Jugendjargon durch die Bücher schlabbern, sondern reden, wie man halt redet, wenn man 13 ist. Zum anderen entwirft Bieniek keine abgedrehten Lebenswelten, die niemand nachvollziehen kann. In seinen Büchern gibt es weder Südseeinseln noch Nobelvillen. Statt mit exotischem Schnickschnack füllt er seine Welt mit Bushaltestellen, Schulhöfen und McDonald’s-Filialen. Vielleicht treibt sich Bieniek deshalb gerne da herum, wo seine Leser zu finden sind. Und wo sind die? Zum Beispiel auf Schnäppchenjagd bei Hennes & Mauritz, wo Bieniek während der Leipziger Messe las. Am besten ist der Mann übrigens bei Lesungen, auf denen er erzählt und sein Publikum befragt. Aber: Vorsicht! Wer bei solchen Gelegenheiten den Namen seines aktuellen Schwarms vertrauensvoll verrät, findet ihn garantiert im nächsten Bieniek-Buch wieder! Die Macht der Musik Auf den ersten Blick sind Christian Bienieks Bücher „nur“ humorvoll, eloquent und unterhaltend. Aber es gibt einen weiteren Aspekt seiner Arbeit, die sich erst auf den zweiten Blick zeigt: Der hoch begabte Bieniek schmiss mit 15 die Schule, um Musik zu studieren - und er arbeitet äußerst textgenau. Obwohl seine Bücher wie aus dem Ärmel geschüttelt wirken, sitzt jedes Wort, komponiert er gleichsam seine Geschichten, was seine Lektorinnen gerne bestätigen. Sind sie es sonst gewohnt, in tagelangen Gesprächen um jedes Wort zu feilschen, zusammenzustreichen und hart am Text zu arbeiten, sind Bienieks Texte nahezu druckreif. Das ist auch deshalb nicht verwunderlich, weil er extrem produktiv ist. In zehn Jahren hat der 46-Jährige um die 100 Bücher geschrieben, einige davon unter Pseudonym oder im Team (oft mit Vanessa Walder und Marlene Jablonski). Bienieks Bandbreite reicht von Erstleserreihen über Kinderbücher bis hin zu Jugendromanen; seine Themen bewegen sich dabei stets innerhalb des jeweiligen Erlebnishorizontes der Zielgruppe (allen voran Schulgeschichten und die erste Liebe). Die witzige Ausnahme hiervon ist sicher der tierische Detektiv Oberschnüffler Oswald. Den Hund, der stets bizarre Fälle zu lösen hat, gibt’s auch im richtigen Leben. Er gehört Christian Bieniek; Wohnort: Düsseldorf. Ob Oswald im wirklichen Leben allerdings auch so gut schreiben kann, wie sein Herrchen vorgibt, gehört zu den gut gehüteten Geheimnissen der Buchbranche. Auch in der Erwachsenenliteratur hat sich Bieniek versucht: Adam packt aus (Bastei Lübbe) ist allerdings sein bisher einziger Seitensprung - und Ergebnis einer Wette. Ein Freund hatte behauptet, Bieniek könne nicht für Erwachsene schreiben und bleibe deshalb beim Kinderbuch. Der Vorwurf lässt den Autor zwar kalt, bewiesen hat er dennoch, dass er könnte, wenn er wollte. In die Kinder- und Jugendliteratur ist er übrigens eher zufällig geraten: In seine Hörspiele für den WDR hatte er auch jugendliche Figuren eingebaut. Dann fragte jemand, ob Bieniek Lust habe, Romane für junge Leute zu verfassen. Naja, so kam es dann… Weitere Gründe? Bieniek sagt, er habe es als Vorteil empfunden, dass sich die Feuilletons nicht besonders für Kinder- und Jugendbuchautoren interessieren. Außerdem seien die persönlichen wie schriftstellerischen Freiheiten für KJL-Autoren größer. Geht das auch mit Köln? Viel Output hat natürlich auch eine Kehrseite: Christian Bieniek wird gern die die Unterhaltungsecke gesteckt und als Massmarketautor bewertet. Die Metaebenen seiner Bücher kommen dabei zu kurz, wie in Knusper, knusper, Mädchen: Raphael ist ein ständig bis zur Verzweiflung verliebter Junge, dessen großer Bruder in Philip Roths Romanheld aus Portnoys Beschwerden auszumachen ist. Solche Anspielungen liebt Bieniek. Frisch verliebt ist halb gelogen ist ein überaus intelligent angelegtes Mädchenbuch, das ständig zwischen Realität und Fiktion hin und her wechselt und am Ende keine Aufklärung bietet. Bienieks Figuren spielen nicht nur Klavier (Hommage an die eigene Liebe zur Musik), sondern die Kinderszenen von Robert Schumann. Sie lesen Thomas Bernhard, sie rezitieren Wie er wolle geküsset sein von Paul Fleming. Und siehe da, hier macht sich bei dem Autor, der „keine Bücher mit Informationen, sondern mit Emotionen“ schreiben will, ein pädagogischer Ansatz breit: Da die meisten Eltern in der Realität gar keine Zeit hätten, so Bieniek, ihren Kindern Musik oder Literatur zu vermitteln, könne er unaufdringlich den einen oder anderen Tipp einfließen lassen. Das funktioniert hervorragend, wenn man die Verkaufszahlen und momentan über 80 lieferbaren Titel als Beweis akzeptiert. Die Belesenheit, das echte Interesse an Menschen, der Humor und nicht zuletzt die Vorliebe für Turnschuhe zu Designer-Hemden und Dosenbier machen Christian Bieniek aus und würden ihm - wenn er heute mit dem Schreiben aufhörte - eine glänzende Karriere als Womanizer bescheren. Bleibt eine Frage: Warum lebt er in Düsseldorf? Antwort: Weil er Köln nicht buchstabieren könne. „K-K-K-K. Nein, das Wort kriege ich einfach nicht raus. Also, ich meine diese Stadt, von der du fälschlicherweise annimmst, sie läge in der Nähe von Düsseldorf.“ Aha, der gute, alte Gegensatz zwischen den beiden Städten! Wahrscheinlich aber wohnt Bieniek dort einfach wegen Sandra, die ihm „seit hundert Jahren“ das Haupthaar kürzt. |
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